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Ab sofort muss Arbeitszeit erfasst werden

Nach vielen Wochen der Unsicherheit liegt nun die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Aufzeichnung der Arbeitszeit im Wortlaut vor. So einschneidend wie befürchtet wird es nicht, doch viele Betriebe stehen trotzdem vor neuen Herausforderungen.

Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) brachte Mitte September viel Verunsicherung: „Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten zwingend erfassen.“ Bisher galt die Pflicht, die Arbeitszeit mit Beginn, Ende und Dauer zu erfassen, nur für bestimmte Arbeitnehmer wie zum Beispiel Minijobber und Kraftfahrer sowie bei grundsätzlich allen Arbeitnehmern für die Überstunden. 

Schon diese Pflicht der Erfassung der Überstunden überfordert viele Arbeitgeber (und manche wussten bislang nicht, dass es sie gibt). Nun entschied das höchste deutsche Arbeitsgericht, dass alle Zeiten von allen Arbeitnehmern zu erfassen sind. Unklar blieb aber zunächst, wer die Zeiten aufzeichnen muss, wie sie aufgezeichnet werden müssen, ob alle Beschäftigten betroffen sind (also auch leitende Angestellte) und ab wann diese Pflicht gilt. Mancher fürchtete, man müsse eine zentrale Stechuhr im Betrieb aufstellen, an der auch die Filialmitarbeiter stempeln und manch einer erwartete das Ende von Homeoffice und allen Dienstreisen. 

Das Bundesarbeitsgericht ließ sich viel Zeit mit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe. Diese wurden nun veröffentlicht und bringen endlich Klarheit. 

Das Ende der bisherigen Arbeitswelt kommt nicht – aber es wird nicht einfach 

Das Positive vorweg: Der Arbeitgeber muss die Arbeitszeit nicht selbst aufzeichnen, er muss keine neue Technik anschaffen und Mitarbeiter müssen zur Erfassung der Arbeitszeit nicht im Betrieb sein, sodass Homeoffice, Arbeit in Filialen, Auswärtstätigkeiten und Dienstreisen weiterhin möglich sind. Das Ende der bisherigen Arbeitswelt bedeutet dies also nicht. 

Es kommen aber auf viele Arbeitgeber neue Herausforderungen zu, beziehungsweise sind sie schon da: denn die Pflichten, die das BAG den Arbeitgebern auferlegt, gelten ab sofort; es gibt keine Übergangsfrist. 

Wie muss die Arbeitszeit erfasst werden? 

  • Der Arbeitgeber muss ein System einführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst wird. Dies muss keine maschinelle oder elektronische Zeiterfassung (Stechuhr) sein. Auch eine handschriftliche Erfassung kann ausreichen. 
  • Der Arbeitgeber kann die Pflicht zur Erfassung delegieren. Er kann also auch seinen Mitarbeitern vorschreiben, dass sie die Zeiten selbst erfassen. 
  • Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die Arbeitszeit tatsächlich erfasst wird. Es reicht nicht aus, eine Stechuhr zu installieren. Es muss gegebenenfalls kontrolliert werden, dass diese auch genutzt wird, und im Zweifelsfall muss mit arbeitsrechtlichen Instrumenten dafür gesorgt werden, dass sich alle Beschäftigten an die Vorgaben halten. 
  • Die Pflicht zur Zeiterfassung gilt grundsätzlich für alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Dazu zählen auch Auszubildende, Aushilfen, Praktikanten und Familienangehörige, Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit oder im Homeoffice. Nach Auffassung der überwiegenden Zahl der Arbeitsrechtler gilt die Pflicht nicht für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG (zum Beispiel Führungskräfte, die Prokura haben und selbständig Arbeitnehmer einstellen und entlassen dürfen – das trifft auf die allerwenigsten Führungskräfte zu).  
  • Der Arbeitgeber muss kein einheitliches Zeiterfassungssystem einführen. Er kann also zum Beispiel in der Zentrale (Backstube und Büro) eine Stechuhr installieren und in den Filialen sowie von Beschäftigten im Homeoffice die Zeiten handschriftlich aufzeichnen lassen.  
  • Wenn im Unternehmen ein Betriebsrat besteht, muss dieser nicht beteiligt werden, soweit es um das Ob der Einführung der Zeiterfassung geht, denn diese ist gesetzlich vorgeschrieben. Lediglich hinsichtlich des Wie, also mit welcher Technik die Zeiten erfasst werden, muss der Betriebsrat bei der Einführung beteiligt werden. 
  • Vertrauensarbeit ist weiterhin möglich, sofern sie sich darauf bezieht, dass es dem Arbeitnehmer freisteht, wann er arbeitet (zum Beispiel eine Buchhalterin, bei der es nicht entscheidend ist, zu welcher Tageszeit sie die Abrechnungen macht). Es müssen aber auch bei Vertrauensarbeitszeit die gesetzlichen Vorgaben eingehalten und die Arbeitszeit aufgezeichnet werden, was auch handschriftlich erfolgen kann. Ein Arbeiten ohne jede Zeiterfassung kann es nicht mehr geben. 
  • Werden mit Aufzeichnungen schon heute bestehende gesetzliche Aufzeichnungspflichten erfüllt (z.B. bei Minijobbern oder Kraftfahrern), werden damit zugleich auch die Aufzeichnungspflichten erfüllt, die sich aus der BAG-Entscheidung ergeben. Hier muss also nichts weiter unternommen werden.

ZV-Tipp 

Es gibt keinen Grund, vorschnell zu agieren. Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag ohnehin vereinbart, die Arbeitszeiterfassung neu zu regeln. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Bundesarbeitsministerium (BMAS) zunächst einmal die Entscheidung des BAG abwarten wollte und nun in den nächsten Monaten einen eigenen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen wird. 

Da die Arbeitszeiten von Minijobbern und die Überstunden ohnehin bereits aufgezeichnet werden mussten, sollte zum Beispiel in den Filialen eine schriftliche Erfassung für alle eingeführt werden. In kleineren Backstuben bietet sich dieselbe Methode an. Große Betriebe werden in der Regel ohnehin bereits eine Stechuhr verwenden. 

In Bereichen, in denen bisher keinerlei Arbeitszeiterfassung stattfand, birgt die kurzfristige Einführung einer bestimmten Arbeitszeitaufzeichnungsmethode durch den Arbeitgeber freilich die Gefahr, dass sie aufgrund der zu erwartenden gesetzlichen Vorgaben des BMAS wieder geändert werden muss. Betroffene Betriebe müssen entscheiden, ob sie dieses Risiko eingehen und hier bis zum erwartenden Gesetzesvorschlag des BMAS mit der Einführung einer Arbeitszeitaufzeichnung noch abwarten.

 

Stand: 14. Dezember 2022